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SURPRISE 182/08, 8. - 21. August 08, Seite 26

Vollautomatisches Welttheater in kleinen Kisten.

Theaterspektakel Für
eine Handvoll Fränkler

Selbst bekennende Schauspielmuffel drehen während des Theaterspektakels gern eine Runde auf der Landiwiese, um die vibrierende Atmosphäre zwischen Seeufer, spontanen Darbietungen und nicht zuletzt kulinarischen Köstlichkeiten aufzusaugen. Das Programm sprengt den Rahmen dieser Rubrik hier, deshalb sei lediglich auf das Atelier für Zufallsforschung hingewiesen. Die Künstlergruppe um Matthias Schmid hat die Welt in zehn kleine Kisten verpackt. Wirft man einen Einfränkler ein, entfaltet sich ein vollautomatisches Theater, das Einblick in jeweils einen Zehntel der Welt gewährt. Für eine Handvoll Einfränkler offenbart sich einem also die gesamte Schöpfung in ihrer ganzen Pracht - so günstig bekommt man das sonst nirgends. (ash)


Theaterspektakel Zürich, diverse Spielorte, 14. bis 31. August, www.theaterspektakel.ch

NZZ, 21. Augst 08, Seite 46


Zürcher Theaterspektakel

Jukebox-Theater

Im «Atelier für Zufallsforschung» am Theaterspektakel

Es ist wie früher mit den richtigen Wurlitzern: Man steckt eine Münze ein und wartet aufgeregt vor der Maschine, bis sie preisgibt, was man gewählt hat. Und wie jede Jukebox geben auch die Theaterboxen im «Atelier für Zufallsforschung» auf der Landiwiese hie und da ihren Geist auf. So sind im Turm bei unserem Besuch nur acht der zehn Maschinen des «Mondoskopes» (kuratiert von Matthias Schmid) funktionstüchtig, und auch die Box, die das Gesamtprojekt erläutern soll, streikt gerade. Der Regen vom letzten Freitag habe der Technik etwas zugesetzt, räumt ein Projektmitarbeiter ein; man arbeite an einer Reparatur. Immerhin stehen noch acht Kisten bereit, nach Einwurf eines Frankens ihr vollautomatisches Theater zum Besten zu geben nach Wahl auf Französisch oder Deutsch.
Die dramatischen Wurlitzer der zehn Theaterschaffenden, die Schmid um einen Beitrag gebeten hat, beherbergen skurrile Gestalten und bizarre Geschichten, deren Irrsinn den Betrachter mehr oder minder ratlos, aber durchaus fidel zurücklässt. In Box zwei beklagt sich etwa ein nesengrosser Riese über seine Einsamkeit, von der ihn eine Glücksfee mit einer Erbse erlösen will, derweil in Box eins ein menschliches Skelett in fluoreszierender Landschaft, in der unwirkliche Tiere weiden und nie gesehene Pflanzen wuchern, Gitarre spielt und einen grölenden Seemann bei seiner Litanei begleitet. In Box sieben wird die Kultur des «Penne» besungen, bei der es nicht etwa um italienische Teigwaren, sondern um die Berner Variante des Tiefschlafs geht. Die wahren Penner seien nämlich jene Langweiler, die bereits um zehn in ihren Betten liegen und allabendlich in die Nacht horchen, ob sie nicht irgendein Geräusch hören, das sie als Nachtruhestörung der Polizei melden könnten.

Und weil in unserem Land alles, was den Leuten gegen den Schlaf geht, gleich verboten werde, jagen hinter der Glasscheibe dieser Jukebox namens «Grossstadt» Polizeiautos hintereinander her.Die meisten Geschichten des «theatralischmechanischen Projekts» vermögen allerdings nicht nachhaltig zu fesseln - zu aussagelos bleiben ihre Plots und Bilder. Allerdings muss bedacht werden, dass die technischen Schwierigkeiten, ein vollautomatisches Theater auf eine Minibühne zu bringen, erheblich sein dürften. Doch das Versprechen der Künstler, dass jede Kiste Einblick in einen Zehntel der Welt gewähre, wird nicht eingelöst. Eine Ausnahme bildet unter anderem sicherlich der Publikumsliebling unter den schwarzen Boxen: Das «automatische Orakel» von Nicole Wiederkehr besticht durch seine Vielfalt an Formen und Farben, die auf sich drehenden Rädern und rollenden Walzen für ein buntes Schementheater sorgen, das dem Betrachter auch bei mehrmaligem Münzeinwurf immer neue Aspekte menschlichen Daseins eröffnet. Eine näselnde Frauenstimme, die an die Hexe im Kasperletheater erinnert, fragt die Zuschauer, ob sie einen Blick ins Schicksal wagen wollen. Bevor das Orakel sein Antlitz wieder verhüllt, bleibt die Maschine kurz stehen und rückt einzelne Schablonen ins Licht. Ein Fisch war es bei uns, der Antwort auf alle Fragen geben soll. Schade eigentlich, denn neben dem Fisch lag im Dunkel noch ein Goldschatz.

Barbara Bleisch